Überprüfung der Kunstsammlung der Kulturstiftung des Hauses Hessen auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut

Das Museum Schloss Fasanerie überprüft seit Oktober 2022 seine Sammlungen nach unrechtmäßigen Erwerbungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste fördert das Forschungsprojekt für ein Jahr. Im Folgenden finden Sie ausführliche Informationen zum Forschungsprojekt.

Titel des Forschungsprojektes: Überprüfung der Kunstsammlung der Kulturstiftung des Hauses Hessen auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut

Förderbereich: NS-Raubgut

Projekttyp: Langfristiges Projekt zur systematischen Prüfung von Sammlungsbeständen

Projektlaufzeit: Oktober 2022 bis September 2024

Beschreibung:

Museum Schloss Fasanerie
Das Museum Schloss Fasanerie in Eichenzell bei Fulda wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Philipp Landgraf von Hessen (1896–1980) gegründet und aufgebaut. In den 1950er Jahren hatte er dort den wertvollen, auf verschiedene Schlösser verteilen Kunstbesitz seiner Familie schrittweise zusammengeführt. Die ersten Schauräume waren ab 1951 für Besucher zugänglich, die feierliche Eröffnung des fertiggestellten Museums fand am 9. Oktober 1959 statt. Schloss Fasanerie, sein Museum und der dort versammelte Kunstbesitz gehören heute zur Kulturstiftung des Hauses Hessen und umfasst einen Bestand von etwa 70.000 Kunstwerken.

Philipp Prinz und Landgraf von Hessen – Chef des ehemaligen Fürstenhauses Hessen-Kassel, Kunstagent und Privatsammler
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs studierte Prinz Philipp von Hessen Architektur und Kunstgeschichte zunächst in Darmstadt und später in Berlin, wo er am Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen als Volontär arbeitete. Anfang der 1920er Jahre siedelte er nach Rom über und betätigte sich dort als Innenarchitekt. In dieser Zeit schloss er Bekanntschaft mit der italienischen Königsfamilie und lernte seine spätere Ehefrau Mafalda von Savoyen (1902–1944), Tochter von König Viktor Emanuel III. (1869–1947), kennen. Nach ihrer Hochzeit 1925 lebte das Paar die folgenden acht Jahre mit den in dieser Zeit geborenen Kindern in Rom.

1930 hatte Philipp von Hessen über seinen Vetter August Wilhelm von Preußen (1887–1949) in Berlin Hermann Göring und Adolf Hitler kennengelernt. Noch im selben Jahr wurde er Mitglied der NSDAP und trat 1931 in die SA ein. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde Prinz Philipp 1933 von Göring in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident zum Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hessen-Nassau ernannt. Als oberster Verwaltungsbeamter der Provinz besaß er zwar kaum politische Macht, setzte sich nun aber umso mehr für die Errichtung eines hessischen Geschichtsmuseums („Landgrafenmuseum“) in Kassel, der ehemaligen Residenzstadt seiner Vorfahren, ein.

Dort sollten die Kunstsammlungen des kurfürstlichen Hauses wieder unter einem Dach versammelt werden, die nach 1866 in Folge der preußischen Annexion des Kurfürstentums Hessen getrennt worden waren. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges scheiterte das Vorhaben noch bevor das Museum vollendet werden konnte.

Aufgrund seiner engen familiären Beziehung zur italienischen Königsfamilie, über die Prinz Philipp auch Benito Mussolini (1883–1945) kannte, wurde er in den Folgejahren von Adolf Hitler als Sonderbotschafter in Italien eingesetzt. Seit 1937 war er in Italien als Kunstagent Hitlers tätig und arbeite bis 1943 für den sogenannten „Sonderauftrag Linz“. Im Auftrag Hitlers und auch für Hermann Göring, mit dem er einen intensiven Kontakt pflegte, besichtigte Philipp von Hessen italienische Kunstsammlungen und vermittelte Kunstankäufe. Für spontane Kaufabschlüsse war er mit einem eignen Konto ausgestattet. Es besteht daher die Vermutung, dass Philipp von Hessen zugleich auch eigene Erwerbungen auf dem italienischen Kunstmarkt tätigte.

Schränkchen von David Roentgen im Museum Schloss Fasanerie aus der Sammlung Goldschmidt-Rothschild (Kulturstiftung des Hauses Hessen)

Über Erwerbungen Prinz Philipps in den 1930er Jahren in Deutschland ist bisher nur wenig bekannt. Jedoch zeigt die Entdeckung von zwei Roentgen-Schränkchen im Bestand des Museums Schloss Fasanerie, die ursprünglich aus der im Jahr 1939 versteigerten Sammlung des jüdischen Kunstsammlers und Malers Rudolf von Goldschmidt-Rothschild (1881–1962) stammen, dass Philipp als Käufer auf dem deutschen Kunstmarkt aktiv war. Inzwischen wurden weitere Objekte mit einer Provenienz aus deutschen Kunstsammlungen jüdischer Eigentümer identifiziert, die vermuten lassen, dass es andere ähnliche Erwerbungen gegeben hat.

Das Projekt:

Philipp von Hessen hat seine Erwerbungen grundsätzlich nicht dokumentiert. Ein Ankaufsbuch, in dem Erwerbungen oder Geschenke für die Privatsammlung Landgraf Philipps festgehalten worden sein könnten, existiert nicht. Auch bei der später unter Philipps Regie durchgeführten Inventarisierung der Kunstsammlung des Hauses Hessen-Kassel im Zusammenhang mit der Gründung des Museums Schloss Fasanerie wurden kaum Notizen zur Provenienz, zum Datum und zu den Umständen des Erwerbs aufgenommen. Auch im Archiv des Hauses Hessen existieren keine Hinweise auf private Erwerbungen des Landgrafen vor 1950.

Allerdings konnten durch vereinzelte Objektkennzeichnungen, wie z. B. Ex Libris-Aufkleber, und aufgrund entsprechender Eigentumsvermerke im Kunstinventar des Museums vorläufig etwa 160 Objekte als Privatbesitz von Landgraf Philipp im Bestand des Museums Schloss Fasanerie festgestellt werden. Die weitgehend unbekannte Herkunft dieser Werke wird im Rahmen des zunächst auf ein Jahr angelegten Forschungsprojekts erstmals systematisch erforscht. Der zu untersuchende Objektbestand umfasst in erster Linie Gemälde, aber auch einige Handzeichnungen und Grafiken sowie kunsthandwerkliche Objekte und Möbel.

Ziel des Projektes ist die Feststellung und Dokumentation von Kunstgegenständen in der Sammlung der Kulturstiftung des Haues Hessen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten enteignet oder eventuell unter dem Druck der Verfolgung in den Handel gegeben worden sind. Bei den bereits erkannten und den eventuell noch zu identifizierenden Objekten soll eine faire und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Prinzipien herbeigeführt werden.

Über Zwischenschritte des Projektes wird zukünftig auf der Website des Museums Schloss Fasanerie informiert. Weiterhin ist geplant, die Ergebnisse zum Abschluss des Forschungsprojektes in einer Publikation oder Sonderausstellung zu präsentieren.

Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste fördert das Forschungsprojekt für ein Jahr.

 

Ansprechpartner:

Dr. Markus Miller
- Direktor -
Kulturstiftung des Hauses Hessen
Museum Schloss Fasanerie
Telefon: +49 (0) 661 9486-0
miller@schloss-fasanerie.de

Sven Pabstmann M.A.
- Provenienzforschung -
Kulturstiftung des Hauses Hessen
Museum Schloss Fasanerie
Telefon: +49 (0) 661 9486-42
pabstmann@schloss-fasanerie.de